Das Labyrinth der Finsternis

 

          Gordon fuhr in seinem nagelneuen BMW der 7er Reihe über eine gottverlassene, menschenleere Landstraße und vergewisserte sich mit einem Seitenblick auf den Beifahrersitz und einem Kontrollcheck in den Rückspiegel, dass niemand außer ihm da war, und tatsächlich war er allein - Urlaub von den Lieben.

          Entspannt lehnte er sich zurück, genoss das angenehme Knartschen der Ledersitze und überließ sein stolzes Ego dem komfortablen Fahrgefühl der Edelkarosse. Verzückt drückte Gordon auf das Gaspedal, beschleunigte seinen Schwarm weit über das erlaubte Limit, d nn wo Gott schon nicht anwesend war, würde es bestimmt keine Bullen geben. Das exaltierte Glücksgefühl, das ihn beschlich, ließ sich eigentlich nicht mehr steigern, Gordon fühlte sich so wohl wie verdammt lange nicht mehr.

          Dann sah er das Schild, Gordon ging hart in die Eisen, hatte auch schon gewendet und bog links ab zum Strand. Die gut asphaltierte Straße machte einem ruckeligen Weg Platz, doch die bayrische Federung schluckte und bremste das Gröbste, bis er sein Fahrzeug auf einer Düne zum Stillstand brachte. Gordon stieg aus, der brisenhafte Seewind spielte mit seinen Locken und erzählte von Salz, Tang und Meerjungfrauen. Vor ihm erstreckte sich ein kilometer weiter Sandstrand, von dem die kommende Flut Stück für Stück beanspruchte. Eine Zeit beobachtete Gordon den Gezeitenwechsel, bevor er seine Schuhe auszog und barfüßig die Düne herab schlenderte, die feinen Sandkörner zwischen seinen Zehen spürend, den Schritt beschleunigend, eine Gangart zulegend, das Kind im Manne weckend, atemlos rennend, bis er völlig erschöpft, aus der Puste, aber überglücklich auf der Sandebene ankam. Gordon hob die Arme, breitete sie aus und bot dem stärker werdenden Wind die volle Angriffsfläche, fing an, sich zu drehen, rotierte immer schneller werdend um seine eigene Achse, hätte schreien können vor Freude, Tränen kullerten über seine Wangen, bis die Anziehungskraft der Erde ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Ermattet aber froh wie selten, lag Gordon rücklings im Sand und schaute in den blauen Himmel, den kein Weiß trübte. Er wünschte sich diesen Moment als Ewigkeit, das Salzseiner Tränen vermischte sich mit dem des Windes, und er schwor sich in dem Augenblick, mehr Ruhe und weniger Rastlosigkeit in sein Herz einkehren zu lassen.

          Als Gordon sich hochrappelte und aufstand, sah er den Mann.

          Und er sah die Stangen.

          Sein Herz fing an zurasen.

          Der Mann  hing mit Seilen festgebunden an einem Stangengebilde, der Kopf zeigte nach unten und er erwartete die Flut. Das Wasser rollte vor und zurück, vor und zurück, spielte schon sanft mit den hängenden Haaren, hin und her, stetig steigend, vor und zurück, die Stirn schon leicht tätschelnd, mit gnadenloser Unausweichlichkeit höher und höher.

          Gordon stand wie angewurzelt da, gebannt vom Anblick, dem Schauspiel ausgeliefert, beobachtend, denn er konnte nicht eingreifen. Der Himmel hatte sich inzwischen verdüstert, dunkle Wolken zogen über das Firmament, es roch nach Regen und Schwefel. Gordon wollte in seinen Wagen zurück, weg von dieser Szenerie, in die angenehme Geborgenheit der komfortablen Limousine, doch seine Beine gehorchten ihm nicht, denn  er hatte noch nicht alles gesehen. Sein Blick senkte sich langsam, ohne dass er es wollte, ein unheimliches Eigenleben entwickelnd. Er sah das schwarze Seidenhemd des Mannes, die glänzenden perlmuttfarbenen Knöpfe 6-5-4-3-2-1-- den noch trockenen Kragen. Gordon wollte seinen Kopf hochreißen, doch der blieb in seiner stetigen Abwärtsbewegung, am Hals entlang, den Kehlkopf streifend, hinab zum Kinn und weiter, weiter, weiter. Und Gordon sah die weiße Maske anstelle des Gesichts, vernahm gleichzeitig entfernt harte Akkorde, studierte die Maske, hörte die donnernden Bässe, untersuchte und erforschte das Gesicht, das keines war, AC/DCs Hells Bells dröhnte auf ihn ein, die weiße Maske bewegte sich, fing an zu zerfließen, schien das Geheimnis preisgeben zu wollen und Gordon starrte auf die Verwandlung, Konturen eines Gesichtes schälten sich aus der Maske, doch Angus Youngs treibende Gitarrenriffs holten ihn in die Bungalowrealität zurück und Gordon lag in den Armen seiner Frau Sarah, die ihn an sich drückte und presste und wie ein Baby streichelte.

          "Ist ja schon gut Liebling, alles in Ordnung, war bestimmt nur ein böser Traum."

 

wird fortgesetzt

 

© Wolf Wolfsen